Und sie bewegen sich doch

Seit mehr als einhundert Jahren gibt es den in der Verfassung verankerten Auftrag, die so genannten altrechtlichen Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen. Nun kommt tatsächlich Bewegung in die Sache, denn die Ampel-Koalition hat angekündigt, diese Zahlungen – immerhin mehr als eine halbe Milliarde Euro jährlich – noch in dieser Legislaturperiode zu beenden. Das Thema, das lange Jahre nur Hard-Core-Säkulare zu interessieren schien, schaffte es nun bis in die „tagesschau“, der es am Samstag zur Prime Time immerhin einen zweieinhalbminütigen Beitrag wert war. 

Tagesschau vom 04.02.2023, 20 Uhr – 3:45 – 6:15

Zum Hintergrund: Die Staatsleistungen sind gedacht als Entschädigung für die Enteignung kirchlicher Güter und Grundstücke im Zuge der Säkularisierung – sie stammen also aus der Zeit Napoleons. Bereits in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 steht die Aufforderung an Regierung, diese zu beenden. Die entsprechenden Paragraphen wurden 1949 unverändert in das Grundgesetz übernommen. Aber Papier ist bekanntlich geduldig und so spielten Bund und Länder den schwarzen Peter munter hin und her, keiner wollte das heiße Eisen anpacken. Und auch die Parteien, von rechts bis links, fanden immer wieder Ausflüchte. Zumal in der breiten Bevölkerung eh so gut wie keiner wusste, worum es ging. 

Mit der Ampel-Koalition wird es jetzt aber ernst: Die Partner sind sich die zumindest dahingehend einig, dass das Thema angegangen werden soll. Und die Kirchen signalisieren immerhin Gesprächsbereitschaft. Offen ist noch, was den Staat – und damit alle Bürgerinnen und Bürger – der Spaß kosten soll. Die Vorstellungen für die finale Ablösesumme reichen von 11 Milliarden (zu wenig, findet die EKD) bis zu Nullkommanix (Ingrid Matthäus-Maier), weil die Kirchen in den letzten 100 Jahren ja schon eh mehr kassiert haben als ursprünglich geplant. 

Und natürlich warnen die Kirchen auch schon mal vorsorglich vor den Folgen. Denn die Ablösesumme müsste so hoch sein, dass die Kirchen alle Aufgaben weiter finanzieren könnten, die der gesamten Gesellschaft nützten. Sonst könnten mit dem Wegfall der Überweisungen einige „Dienste an der Gesellschaft“ reduziert werden. Dies möchte die Kirche natürlich nicht als Drohung, sondern als Rechnung verstanden wissen. Hier lohnt sich ein Blick auf das komplette Zitat von Anne Gideon, Bevollmächtigte des Rates der EKD, das an Dreistigkeit in Bezug auf die Darstellung der Fakten kaum zu überbieten ist: 

„Kirchliche Kindergärten, kirchliche Schulen, kirchliche Krankenhäuser, Flüchtlingshilfe, das sind alles Dinge, wo keiner nach der Mitgliedschaft fragt. Das sind Dinge, die werden im Ort ganz selbstverständlich in Anspruch genommen, ganz unabhängig von der Frage, ob jemand in der Kirche ist.“ 

Anne Gideon, Bevollmächtigte des Rates der EKD

Schwer vorzustellen, dass Frau Gideon tatsächlich nicht weiß, dass diese kirchlichen Einrichtung zu rund 90 Prozent durch den Staat – Bund, Länder oder die Kommunen – und eben nicht durch die Kirchen finanziert werden. Wer so unverhohlen lügt, ist bestimmt ein konstruktiver Verhandlungspartner. Wir sind gespannt, wie es weitergeht.