Säkulares Lexikon

Eintrag Religionsfreiheit aus dem Großen Brockhaus von 1925

Wer sich als gottloser Mensch mit den Themen Religionsfreiheit, Staat und Kirche und allem, was dazu gehört, befasst, stolpert sicher immer mal wieder über die folgenden Begriffe.

Dotationskirchen

Nachdem durch die Säkularisation 1803 Kirchengut in staatlichen Besitz übergegangen war, schrieb die Stadt Frankfurt1830 in einer sogenannten Dotationsurkunde ihre Leistungen für die enteigneten Kirchen fest. Seitdem besteht der in Deutschland einmalige Dotationsvertrag zwischen der Freien Stadt Frankfurt und christlichen Gemeinden Frankfurts. Die Dotationskirchen sind im Eigentum der Stadt und den jeweiligen Kirchengemeinden „für deren Cultus zum immerwährenden und alleinigen Gebrauch“ übertragen. Die Stadt ist verpflichtet, die „Kirchengebäude und Zugehörungen, wie die Orgeln und dergleichen, fortwährend in gutem Zustande“ zu erhalten.

Heute – fast 200 Jahre nach seiner Entstehung – gilt der Dotationsvertrag noch immer. 1962 wurde er als hessisches Landesrecht bestätigt. Ein Rahmenvertrag von 2003 zwischen dem Land Hessen sowie den evangelischen Landeskirchen und katholischen Diözesen in Hessen über die Ablösung von Kirchenbaulasten nimmt die Frankfurter Dotation ausdrücklich aus. Zu den Dotationskirchen gehören heute fünf evangelisch-lutherische Kirchen (Katharinenkirche, Peterskirche, Dreikönigskirche, Heiliggeistkirche und Alte Nikolaikirche) und drei katholische (Dom St. Bartholomäus, Liebfrauenkirche und Leonhardskirche) sowie das Dominikanerkloster. 

Mehr Informationen:
Frankfurter Spezialitäten: Die Frankfurter Dotationskirchen
Artikel zum Dotationsvertrag auf DeWiki.de

Dritter Weg

Als „Dritter Weg“ wird die besondere Regelung der Arbeitsverhältnisse in der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland bezeichnet. Er steht neben dem „Ersten Weg“ – die Gestaltung des Arbeitsvertrags wird einseitig durch den Arbeitgeber festgelegt – und dem „Zweiten Weg“ – Abschluss von Tarifverträgen. Rechtliche Grundlage des kirchlichen Arbeitsrechts ist das Selbstverwaltungsrecht – gern ausgelegt als Selbstbestimmungsrecht – der Kirchen. Daraus leitet sich der Anspruch ab, dass das Betriebsverfassungsgesetz in kirchlichen Einrichtungen nicht zur Anwendung kommt und stattdessen ein eigenes, kircheninternes Arbeitsrechtsregelungsverfahren und ein Mitbestimmungsvertretungsrecht geschaffen wird. 

Dabei verstehen sich Betriebe als „Dienstgemeinschaft“, in der Dienstgeber (Arbeitgeber) und „Dienstnehmer“ (Arbeitnehmer) „gemeinsam im Dienste Gottes arbeiten“. Und weil hier alle vermeintlich am gleichen Strang eines höheren Ziels ziehen, lehnen die Kirchen Tarifverträge, Arbeitskampf und Betriebsräte als unangemessene Formen der Auseinandersetzung ab. Stattdessen gibt es paritätisch besetzte Kommissionen, in denen alle Regelungen einvernehmlich getroffen werden sollen. Falls man sich mal nicht einig wird, entscheidet der zuständige Bischof oder die Synode. Statt Betriebsräten gibt es „Mitarbeitervertretungen“ (MAV) mit entsprechend eingeschränkten Rechten.

Ebenfalls aus der Idee der Dienstgemeinschaft leitet sich der Anspruch ab, die Beschäftigten in ihrem Privatleben zu reglementieren und ihre Grundrechte einzuschränken. Dies ist ansonsten nur unter ganz bestimmten Bedingungen möglich („Tendenzschutz“).

Mehr Informationen:
GerDiA (Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz) – FAQ

Evangelische Kirche Deutschlands (EKD)

Die Evangelische Kirche in Deutschland ist die Gemeinschaft von 20 selbstständigen lutherischen, unierten und reformierten Kirchen in Deutschland. Sie wurde 1948 als Dachinstanz für die Landeskirchen gegründet und blieb auch nach der Teilung Deutschlands als Zusammenschluss der evangelischen Landeskirchen beider deutschen Staaten bestehen. 2020 waren etwas über 20 Millionen Menschen in Deutschland Mitglied in der evangelischen Kirche. Das entspricht 24,3% der Bevölkerung – Tendenz seit Jahren sinkend.

Mehr Informationen:
Artikel auf fowid.de „Kirchliches Leben – Evangelische Kirche 1960 – 2020“

Hinkende Trennung

Artikel 40 des Grundgesetzes besagt: “Es besteht keine Staatskirche“. Doch diese formelle Trennung hinkt in der Praxis. Denn trotz der verfassungsrechtlich verankerten Neutralität des Staates gegenüber den Religionen, existiert in vielen Bereichen eine enge Kooperation, von der Erhebung der Kirchensteuer durch den Staat über den im Grundgesetz verankerten Religionsunterricht als Pflichtfach bin staatlichen Schulen bis hin zur Zahlung der Bischofsgehälter. Daher bezeichnet man das derzeitige System der Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften in Deutschland auch als „hinkende Trennung“. Eine echte Trennung von Staat und Kirche wurde in Deutschland nie wirklich vollzogen. Dies zeigt sich auch der noch immer andauernden Zahlung von Staatsleistungen an die Kirchen, obwohl seit 1919 der Auftrag an die Politik besteht, diese abzulösen.

Mehr Informationen:
Artikel von Peter Meisenberg „Hinkende Trennung“
Artikel von Christian Sailer „Hinkende Trennung“ oder aufrechter Gang?
Zum Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland (PDF)

Kirchensteuer

Die Kirchensteuer ist die wichtigste Einnahmequelle der beiden großen Kirchen in Deutschland. Allein 2020 nahmen sie zusammen etwas über 12 Mrd. Euro an Kirchensteuern ein, davon entfielen 6,45 Mrd. auf die katholische und 5,63 Mrd. auf die evangelische Kirche. Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer ist die Lohn- bzw. Einkommensteuer. Der Kirchensteuersatz beträgt in Bayern und Baden-Württemberg 8 %, in allen anderen Bundesländern 9 % der Einkommensteuer. Die Kirchensteuer wird in Deutschland direkt von den Finanzämtern eingezogen, was bedeutet, dass der Arbeitgeber über die religiösen Präferenzen seiner Angestellten Bescheid weiß – datenschutzrechtlich eine zumindest fragwürdige Regelung. Eine besonders raffinierte Form der Kirchensteuer ist das besondere Kirchgeld.

Mehr Informationen:
Einnahmen der Katholischen und Evangelischen Kirche in Deutschland durch die Kirchensteuer von 2004 bis 2020 (Statista)
„Kirchensteuer“ auf kirchenaustritt.de
Gottlos leben: Kirchenaustritt in Hessen

Kirchgeld, besonderes

Das auch als „Heidensteuer“ bekannte besondere Kirchgeld fällt in glaubensverschiedenen Ehen und Lebenspartnerschaften an. Betroffen sind Paare, die das Ehegattensplitting in Anspruch nehmen und bei denen der Partner, der Kirchenmitglied ist, kein Einkommen hat oder weniger verdient als das Nicht-Kirchenmitglied. Ein raffiniertes Konstrukt, denn so werden auch Nicht-Kirchenmitglieder zur Finanzierung der Kirchen herangezogen, solange der Partner noch Mitglied einer Religionsgemeinschaft ist.

Mehr Informationen:
„Besonderes Kirchgeld“ auf kirchenaustritt.de

Laizismus

Der Begriff „Laizismus“ leitet sich ab aus dem französischen „laicisme“ und bedeutet die Trennung des gesamten öffentlichen Lebens (Staat, Gesellschaft, Recht, Kultur) von Kirche und Religion. Bekanntestes Beispiel eines laizistischen Staates ist Frankreich, wo der Laizismus im konsequenten Trennungsgesetz von 1905 festgeschrieben ist. Laizismus als Staatsprinzip wird gerade in Deutschland oft mit Kirchenfeindlichkeit gleichgesetzt – wahrscheinlich weil man die bei uns herrschende „hinkende Trennung“ schon als das höchste der Gefühle betrachtet. Vermutlich auch einer der Gründe, warum die Laizistischen Sozis von Ihrer Partei nicht als Arbeitskreis anerkannt wurden und heute als „Säkulare Sozialdemokrat_innen“ firmieren – noch immer ohne offizielle Anerkennung der Partei.

Mehr Informationen:
Deutschlandfunk: „Kein Herz für säkulare Sozis“
FAZ: Atheisten dürfen keinen Arbeitskreis gründen“

Säkularisation

Mit dem Begriff „Säkularisation“ – nicht zu verwechseln mit Säkularisierung – bezeichnet man den Vorgang der Umwandlung (Enteignung) kirchlichen Vermögens in Vermögen weltlicher Herrschaft. Die Säkularisation hat ihren Ursprung in der Französischen Revolution von 1789. Meist bezieht sich der Begriff aber speziell auf die große Säkularisation von 1803 in Deutschland anlässlich der Auflösung des alten Deutschen Reichs. Darauf begründen sich die noch heute vom Staat an die Kirchen gezahlten „Staatsleistungen“ – obwohl es bereits seit mehr als 100 Jahren den klaren Verfassungsauftrag gibt, diese Zahlungen abzulösen und zu beenden.

Säkularisierung

Der Begriff der „Säkularisierung“ bezeichnet den Prozess – ausgelöst durch die Aufklärung und den Humanismus – des allmählichen Bedeutungsverlustes der Religion in den verschiedenen Lebensbereichen. Dies führt zu einer „Verweltlichung“ im Sinn von individueller, institutioneller und gesellschaftlicher Loslösung aus religiösen Bindungen. Dazu gehört auch eine Haltung, die nach einer Erklärung der Wirklichkeit strebt ohne Bezug auf religiöse Begründungen oder irgendeine Form außerweltlicher Transzendenz,  

Stille Feiertage

Bei stillen Feiertagen handelt es sich um besondere Feiertage, an denen bestimmte Auflagen aus Gründen der Pietät oder der Rücksicht auf religiöse Gefühle gelten. Dazu zählen, je nach Bundesland, etwa Gründonnerstag, Karfreitag, Pfingstsonntag und Buß- und Bettag. Die konkreten Regelungen obliegen den Bundesländern. Allen stillen Feiertagen gemein ist das Verbot von öffentlichen Konzert- und Tanzveranstaltungen – jedoch mit Ausnahme christlicher Feierlichkeiten. Demonstrationen sowie private und öffentliche Tanz- und Sportveranstaltungen hingegen sind zumeist verboten. Die Nicht-Einhaltung dieser gesetzlichen Regelungen wird als Ordnungswidrigkeit gewertet und je nach Bundesland mit teils empfindlichen Geldstrafen geahndet. Begründet werden diese Regelungen mit einer vermeintlich christlichen Deutungshoheit über den Charakter von Feiertagen, die zu stiller Einkehr, Andacht, Trauer oder Gebet zu nutzen seien.

Hessen hat bundesweit übrigens die größten Einschränkungen für Veranstaltungen, Diskotheken und Clubs. Neben den Sonntagen gibt es an insgesamt 15 Tagen im Jahr zeitlich begrenzte Tanzverbote, die durch das Feiertagsgesetz geregelt sind.

Tanzverbot

Das Tanzverbot ist ein Verbot öffentlicher Tanzveranstaltungen an den sogenannten stillen Feiertagen. Es betrifft aber nicht nur Tanz-, sondern auch andere öffentliche Veranstaltungen wie beispielsweise Sportveranstaltungen. Die vom Tanzverbot betroffenen Tage sind in den Bundesländern unterschiedlich und werden durch die jeweiligen Feiertagsgesetze oder zusätzliche Verordnungen geregelt. Am entspanntesten sind dabei die Bremer, hier gilt nur an drei Tagen im Jahr zwischen 6 und 17 bzw. 21 Uhr ein Tanzverbot. Hessen hingegen tut sich durch besondere Strenge hervor: An 15 Tagen herrscht ganz oder teilweise Tanzverbot. An Neujahr muss der DJ hier um 4 Uhr abbauen, denn danach ist Tanzen erstmal bis 12 Uhr verboten. Außerdem gilt in Hessen an allen Sonntagen von 4 bis 12 Uhr ein Tanzverbot.

Mehr Informationen:
Artikel zum Tanzverbot auf Wikipedia