Staatsleistungen

Der Kampagnenbus der Buskampagne zur Abschaffung der Staatsleistungen hält auf dem Frankfurter Goetheplatz.

Wir schreiben das Jahr 1803: Napoleon ist gerade zum Konsul auf Lebenszeit ernannt worden, Goethe schreibt am Faust I, den er fünf Jahre später veröffentlichen wird, und in 26 Jahren wird man die Eisenbahn erfinden.

Und seit diesem Jahr kassieren die Kirchen sogenannte Staatsleistungen – bis heute. Es handelt sich dabei um Entschädigungsleistungen aufgrund der Säkularisation kirchlicher Güter. 2021 waren dies rund 600 Millionen Euro pro Jahr allein für die beiden großen christlichen Religionskonzerne in Deutschland. Weitere 80 Millionen Euro kommen für andere Religionsgemeinschaften hinzu, die aus Gleichbehandlungsgründen gezahlt werden, selbst aber keine historisch bedingten Staatsleistungen im Sinne vor Artikel 138 Absatz 1 WRV sind. Eine detaillierte Aufstellung der aktuellen Zahlungen aufgeschlüsselt nach Bundesländern und Religionsgemeinschaften ist in Wikipedia unter dem Eintrag „Staatsleistungen“ zu finden

Dabei gibt es in der Weimarer Verfassung von 1919 den Auftrag an den Gesetzgeber, der 1949 auch ins Grundgesetz übernommen wurde (Artikel 140), diese Staatsleistungen abzulösen. Der jüngste Versuch, diesem Verfassungsauftrag endlich nach zu kommen, wurde am 6. Mai 2021 vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Der Geldhamster - ein Hamster im Bischofsgewand - als Sinnbild für die Staatsleistungen

Die Ablösung der Staatsleistung als Verfassungsauftrag

Als Staatsleistungen werden solche Verpflichtungen des Staates bezeichnet, die aufgrund historischer Gegebenheiten bei Inkrafttreten der Weimarer Verfassung am 14. August 1919 bestanden. Die Verpflichtung, die Staatsleistungen abzulösen, ist in zwei Artikeln der Weimarer Reichsverfassung dokumentiert:

Art. 138 Absatz 1:

Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.

Art. 173:

Bis zum Erlaß eines Reichsgesetzes gemäß Artikel 138 bleiben die bisherigen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bestehen.

Verantwortlich für die Aufstellung der Grundsätze für die Ablösung ist also der Deutsche Bundestag. Da dies bislang nicht passiert ist, konnten die Länder gesetzgeberisch nicht tätig werden. Das Resultat ist ein seit 102 Jahren währender, von Verfassung und Grundgesetz nicht gewollter Zustand.

Trauerspiel der Demokratie – im Jahr 2021

Am 15. Mai 2020 legten die Bundestagsfraktionen von FDP, Linken und Bündnis 90/Die Grünen einen gemeinsamen Gesetzentwurf über ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen vor. Wenig später, am 28. Mai 2020, zog die AfD mit einem eigenem Gesetzentwurf nach.

In der öffentlichen Anhörung am 12. April 2021 vor dem Bundestagsausschuss für Inneres und Heimat wiesen Juristen ausdrücklich darauf hin, dass in der Verfassung beziehungsweise im Grundgesetz eine „angemessene Entschädigung“, jedoch kein voller Wertausgleich gefordert sei. Dies ist besonders bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass die Ablösung der Staatsleistungen häufig mit dem Argument vertagt worden ist, die öffentlichen Haushalte seien durch die Ablösezahlungen überfordert. Anders gesagt: Lieber auf ewig weiter zahlen, als einmal reinen Tisch machen. Auch aus anderen Gründen ist das Argument der „Überforderung der Haushalte“ nicht stichhaltig und soll wohl eher den fehlenden politischen Willen kaschieren.

Für die Ermittlung der Ablösesummen ist nämlich nicht die Höhe der heutigen Staatsleistungen relevant, sondern die Höhe der Leistungen bei Inkrafttreten der Weimarer Verfassung am 14. August 1919. Daher dürften die Ablösezahlungen weit geringer ausfallen als befürchtet.

Überhaupt ist umstritten, ob Einmalzahlungen zur Ablösung der Staatsleistungen noch zu leisten sind. Angesichts der seit über 100 Jahren andauernden Verschleppung des Verfassungsauftrages dürfte die Gesamtsumme der gezahlten Staatsleistungen die Höhe der 1919 fälligen Ablösesummen bereits um ein Vielfaches übersteigen.

Der (vorerst) letzte Akt

Am 6. Mai 2021 wurden die Gesetzentwürfe im Deutschen Bundestag abgelehnt. Unter anderem Redner von CDU und SPD kündigten aber an, dass man sich in der nächsten Legislaturperiode mit dem Thema befassen wolle, also diesmal wirklich, ganz bestimmt, großes Indianerehrenwort …

Philipp Amthor (CDU): „Diesen (Verfassungs)auftrag nehmen auch wir ernst, aber diesen Auftrag werden wir in dieser Wahlperiode noch nicht abschließen.“ (Amthors Rede im Wortlaut)

Ähnlich äußerte sich Prof. Dr. Lars Castellucci von der SPD. Und wie auch Amthor lastete er der AfD mangelnde Verfassungstreue an – dass beide sich gerade mit der Ablehnung der Gesetzentwürfe selbst in einer verfassungsrechtlichen Grauzone befinden, ließen sie unerwähnt.

Schließen wir diesen Beitrag wie er begonnen hat – mit einem Zitat aus Johann Wolfgang von Goethes Faust:

Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen,
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch‘ allein, meine lieben Frauen,
kann ungerechtes Gut verdauen.

(Mephisto, 2836 – 2840)

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BAStA – Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen