Wenn man sich die Berichterstattung rund um Weihnachten anschaut, könnte man meinen, es ginge den Kirchen ausschließlich um Frieden, Barmherzigkeit, Mitmenschlichkeit. Die Medien überbieten sich mit Berichten und Filmen, in denen es darum geht, das Menschen anderen Menschen etwas Gutes zu tun, ganz im Geiste von Weihnachten. Nun ist gegen Gutestun natürlich überhaupt nichts einzuwenden. Die Johanniter, die Pakete an Obdachlose austeilen, oder Organisationen, die Seniorinnen Geschenke nach Hause bringen – das sind alles tolle Initiativen, zumal die auch nicht nur an Weihnachten aktiv sind.
Auch Heribert Prantl nutzt die Weihnachtsausgabe der Süddeutschen Zeitung, um unter der Überschrift „Ein Kind“ sein spezielles Verständnis von Weihnachten unters Volks zu bringen (Artikel leider hinter der Paywall). Auch er ist genervt davon, dass viele gerade heute meinen, „dass Weihnachten auch ohne die Erzählung vom Kind in der Krippe funktioniert“, was er als „Verachtung des religiöses Kerns des Festes“ bezeichnet. Seiner Meinung nach erzählen die Weihnachtslegenden eher unsentimental vom „scharfen Anfang eines Lebens in Bethlehem, das auf Golgatha sein scharfes Ende finden wird“.
So weit, so einverstanden. Wer die Geburt Jesu, überdeckt mit reichlich Zuckerguss-Kitsch, feiert, ohne das Ende zu denken – das Opferlamm stirbt für die Sünden der Menschen – blendet den religiösen Kern von Weihnachten aus. Verständlich, Friede, Freude, Gänsebraten sind nun einmal netter als eine doch eher hässliche Hinrichtung am Kreuz.
Ein Kind überzeugt nicht durch Argumente, es appelliert ans Herz; das ist seine einnehmende Macht.
Heribert Prantll
Dann aber wird’s auch bei Prantl metaphysisch: Er interpretiert die Geburt Jesu als „Gott wird ein Kind“, wobei das Kind „der Ernstfall des bedürftigen und hilflosen Menschen“ ist. Und „der Mensch in seiner schwächsten Gestalt ist das Maß aller Dinge“, kontrastiert mit dem Recht des Stärkeren, und damit der Ausgangspunkt von Ethik und Moral: „Zu ehren, zu schützen und zu retten ist das konkrete Kind, das Kind das im Trog liegt und schreit.“
Es folgt der Schwenk zu Weihnachten: „Ein Kind überzeugt nicht durch Argumente, es appelliert ans Herz; das ist seine einnehmende Macht. Darum ist Weihnachten das beliebteste aller Feste geworden. … Ein Kind ist entwaffnend. … Die Weihnachtsgeschichte weckt diese kindliche Kraft auf, immer wieder. Sie konfrontiert mit der entwaffnenden Präsenz eines Kindes, mit seiner Schutzlosigkeit. Das weckt das Fürsorgliche auf, das Beste im Menschen; das macht friedlich.“ Und er endet mit: „Die Welt muss kinderverträglich werden. Sie ist dann eine weihnachtliche Welt.
Und irgendwie frage ich mich am Ende des Artikels angekommen: Ja, und? Das alles hat den christlichen Gott 33 Jahre nach besagter Geburt nicht davon abgehalten, das mittlerweile erwachsene Kind hinrichten zu lassen, damit die Menschen die Wahrheit des Glaubens erkennen „damit dass er Frieden machte durch das Blut an seinem Kreuz, durch sich selbst“ (Kolosser 1:20). Oder anders gesagt: „Gott hat die Menschen mit sich selbst versöhnt durch Jesus Christus“ (2. Korinther 5:19).
Wer unter dem Kreuz steht, erkennt, dass hier Gottes Sohn hängt – für die Schuld der Welt und für meine eigene.
Wie man’s auch dreht und wendet: Das ist archaisches magisches Denken. Auch wenn es in der christlichen Theologie gern verschwurbelt wird in ein Opfer, das Gott in Form seines Sohnes für die Menschheit macht, um sich mit ihr auszusöhnen. Um es mit Michael Gerster vom christlichen Medienunternehmen ERF (Evangeliums-Rundfunk) zu sagen: „Wer unter dem Kreuz steht, erkennt, dass hier Gottes Sohn hängt – für die Schuld der Welt und für meine eigene. Und dem wird auch klar, dass hier kein antiker Gott ein Racheopfer fordert, um seinen Zorn zu besänftigen. Sondern der erkennt, dass hier Gott selbst sein Leben gibt. Die Relevanz der Dreieinigkeit Gottes wird spätestens hier deutlich. Wenn ich trinitarisch über das Kreuzesgeschehen rede und es im Hinblick auf die rettende Liebe Gottes entfalte, dann wird klar: Gott selbst geht ans Kreuz – für mich!“ (1)
Mir persönlich ist das alles zu schwurbelig: Gott spaltet sich in mehrere Teile und opfert dann einen davon, um die Menschen mit ihm auszusöhnen?! Wirkt schon arg nachträglich konstruiert. Und irgendwie vermute ich, dass kaum einer der U-Boot-Christen, die alljährlich an Weihnachten in den Kirchen auftauchen, das auch nur ansatzweise versteht – oder sich überhaupt dafür interessiert. Sie begehen Weihnachten in erster Linie als kulturelles Fest, das Kinder, Barmherzigkeit und Frieden feiert, halt Emotion pur, wie schon Prantl bemerkte. Und nebenbei gibt das den Kirchen mal wieder reichlich Gelegenheit, die Nachrichten wochenlang in Beschlag zu nehmen, und sich als Hüter von Moral und Ethik zu inszenieren. Was das für ein merkwürdiger Gott ist, dem da gehuldigt wird, darüber denken wir an Weihnachten lieber nicht nach.