Veranstaltung des HVD in Frankfurt zum 10. Jahrestag des Anschlags auf Charlie Hebdo
Rund 60 Menschen kamen am Dienstag in Frankfurt zusammen, um bei einer Gedenk- und Infoveranstaltung an das Attentat auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo vor genau zehn Jahren am 7. Januar 2015 zu erinnern, bei dem zwölf Menschen von Islamisten im Namen der Religion ermordet wurden. Mit der Veranstaltung unter dem Titel „Das Recht, Gott lächerlich zu machen“, setzte der HVD Frankfurt/Gießen ein Zeichen für die Notwendigkeit, die offene Gesellschaft und die Meinungsfreiheit einschließlich der Kritik an Religionen, zu verteidigen. „Es geht weder uns, noch ging es Charlie Hebdo darum, religiöse Menschen lächerlich zu machen. Wir sehen die Freiheit, Religionen auch mittels der Satire kritisieren zu dürfen, als unabdingbare Voraussetzung für das Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft. Die Befindlichkeit von gesellschaftlichen Gruppen und eben auch von Religionen darf nicht Maßstab sein, wieviel Meinungsfreiheit erlaubt ist,“ so Andreas Grimsehl, erster Vorsitzender des HVD Frankfurt/Gießen.
Der Abend begann eindrucksvoll mit einer Lesung aus dem Buch von Richard Malka „Das Recht, Gott lächerlich zu machen“. Malka hatte Charlie Hebdo als Anwalt beim Prozess gegen die Helfer der Attentäter vertreten. Ausschnitte aus der erweiterten Fassung des Plädoyers, das er vor Gericht gehalten hatte, wurden brillant gelesen von Peter Strauß. Die emotionalen Texte ließen die besondere Atmosphäre des Pariser Gerichtssaals während des bis dahin größten Terrorprozess in Frankreich lebendig werden.
Es begann mit der erstaunlichen Geschichte der Mohammed-Karikaturen aus dem Jahr 2004, die nur dank eines Betrugs dänischer Imame so gravierende Folgen hervorrufen konnten. Denn die der Muslimbruderschaft nahestehenden Imame fügten den 12 originalen Karikaturen drei weitere hin, die in Wirklichkeit nichts mit dem Islam zu tun hatten. Weiter ging ging es mit dem Selbstverständnis von Charlie Hebdo als laizistische Zeitschrift in der Tradition der Aufklärung und den öffentlichen Reaktionen auf das Attentat. Mit Zitaten verschiedener Personen aus Politik und Gesellschaft verdeutlicht Malka die Bereitschaft der westlichen Welt zur Selbstzensur, die sich auch in Bestrebungen zeigt, in Frankreich wieder den Straftatbestand der Blasphemie einzuführen – den Frankreich 1791 als erstes Land der Welt abgeschafft hatte. Die Lesung endete mit einem emotionalen Zitat von Richard Malka: „Es liegt an uns – und nur an uns -, die wir uns engagieren, nachdenken, analysieren und manchmal auch ein Risiko eingehen, so frei zu bleiben, wie wir es wollen. Wir, und niemand anders, müssen die Worte finden, sie aussprechen, sie aufschreiben, um das Geräusch der Klingen, die an unseren Kehlen kratzen, zu übertönen.“
Ergänzend zur Lesung zeigte eine kleine Ausstellung die Namen der Ermordeten sowie die Abfolge der Ereignisse. Vom Erscheinen der Mohammed-Karikaturen im Jahr 2005 über die Anschläge im Jahr 2015 auf Charlie Hebdo und auf das Bataclan bis zur Ermordung des Lehrers Samuel Paty und das Attentat auf Salman Rushdie – 20 Jahre voller Anschläge im Namen des Beleidigtseins führten das Ausmaß des fundamentalistischen Terrors noch einmal deutlich vor Augen.
Die Ermordeten: Die Opfer des Attentats auf Charlie Hebdo und den Supermarkt Hyper Cacher
20 Jahre Terror im Namen des Beleidigtseins: Von den Mohammed-Karikaturen bis heute
Dass Blasphemie heute in Deutschland noch immer ein Thema ist, zeigte der anschließende Vortrag zum § 166 StGb, dem sogenannten „Gotteslästerungsparagraphen“, von Gunnar Schedel. Der Gründer des auf säkulare Themen spezialisierten Alibri Verlags und Herausgeber der deutschen Ausgabe des Buches von Richard Malka, beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema Blasphemie.
Nach einer kurzen Einführung in das Wesen und die Geschichte der Blasphemie erläuterte er die Entstehung und Entwicklung der Blasphemie-Gesetzgebung in Deutschland. Anhand konkreter Beispiele, zeigte er wie die deutsche Sondergesetzgebung für Religionen immer wieder genutzt wird, um Religionskritik zu verhindern. Der Paragraph, der seit der großen Strafrechtsreform die Strafbarkeit von Kritik an Religionen mit der Störung des öffentlichen Friedens verknüpft, spielt heute vor allem Fundamentalisten in die Hände, die gezielte öffentliche Ausschreitungen als Folge gekränkter religiöser Gefühle einsetzen, um unliebsame Kritik zu verhindern.
Bei der anschließenden Diskussionsrunde hatten die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, Fragen zu stellen und ihre Meinung zu äußern. Die Frage, ob es beim Paragraph 166 StGb, der ja Religionen und Weltanschauungen gleich stellt, auch schon mal eine erfolgreiche Klage von Seiten nicht religiöser Weltanschauungen gegeben habe, musste Gunnar Schedel verneinen. Auch die Äußerung, dass Atheisten weniger seien als Tiere, wurden vom Gericht nicht als ausreichend für eine Verurteilung angesehen. Erschreckend auch der Gedanke, dass hätten einige der Charlie-Redakteure überlebt, sie sich in Deutschland womöglich wegen dem Paragraphen 166 vor Gericht verantworten müssten. So macht die Blasphemiegesetzgebung Opfer zu Tätern. Aber vielleicht ändert sich das bald: Die neue „Free Charlie“-Kampagne der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) hat zum Ziel, den Paragraphen 166 abzuschaffen. Drücken wir die Daumen.