Unter dem Titel „Mein Gott, Reli!“ äußert Heribert Prantl in seiner Kolumne in der Süddeutschen Zeitung an diesem Samstag folgende steile These: „Glaubensinhalte und Fragen nach dem Heiligen dürfen aus der Schule nicht verschwinden.“ (Online-Version des Artikels, leider hinter einer Bezahlschranke) Und wieder einmal blendet dieser kluge und engagierte Kopf wenn’s um das Thema Religion geht, rationale Argumente – die er selbst in seinem Text ausbreitet – am Ende konsequent aus. So stellt er im ersten Teil des Textes dar, wie das Fach Ethik als Pflicht-Alternative zum Religionsunterricht in die Schule kam: „Die Erfindung des Schulfachs Ethik (…) war schlicht der Versuch, die Abwanderung aus dem konfessionsgebundenen (…) Religionsunterricht zu stoppen.
Und erläutert weiter, dass auch die Kirchen ein Interesse an einem verpflichtenden Ersatzfach hatten, das den „Anreiz zusätzlicher Freizeit“ verhinderte, damit Abmelder vom Religionsunterricht nicht mit Freistunden belohnt wurden. Ethik war also von Anfang an ein Fach, das nicht um seiner selbst willen, weil es wertvolle Inhalte vermittelt, in den Lehrplan kam, sondern als Instrument, um die Stellung des Religionsunterrichts zu stärken. Was unter anderem dazu geführt hat, dass die Ausbildung von Ethiklehrkräften „beschämend unzureichend“ ist, wie er selber sagt.
Die Erfindung des Ethik-Unterrichts galt als die schulorganisatorische und disziplinarische Verstärkung des herausragenden Ranges, den der konfessionell-kirchliche Religionsunterricht im Grundgesetz hat.
Um dann den Ethik-Unterricht ausdrücklich zu loben: „ Aus einem Auffangfach für Nichgläubige (…) ist eine gute pädagogische Wertanlage geworden“, die „wertorientierte, aber entkonfessionalisierte Lebenshilfe“ bietet. Gleichzeitig zeigt er an verschiedenen Beispielen, wie sich auch der Religionsunterricht stark gewandelt hat. Aus einem Fach, das den verfassungsmäßigen Auftrag hatte (und – was gern vergessen wird, auch von Prantl – noch immer hat!) „die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft zu lehren“, ist der Versuch geworden, über verschiedene Religionen hinweg bi- oder multireligiöse Inhalte zu vermitteln, siehe „Religionsunterricht für Alle“ (RufA) in Hamburg.
Nun kann man das sehr gut nachvollziehen, denn sowohl von Schüler- als auch von Elternseite wird das Schubladendenken des klassischen konfessionsgebundenen Religionsunterrichts nicht mehr gewünscht. Und weil auch die anderen Religionen ihr Stück vom Kuchen haben möchten, das man ihnen rechtlich (ohne das Grundgesetz zu ändern) schlecht verwehren kann, ist inzwischen eine (un)heilige Allianz der verschiedenen Religionen für den Religionsunterricht entstanden. Alle möchten ihre Gemeinsamkeiten entdecken und dort, wo es keine gibt, zumindest gegenseitige Toleranz predigen. Inwieweit Gemeinsamkeiten mit und Toleranz für ganz und gar Ungläubige Teil des Plans sind, bleibt offen.
Die Zukunft des christlichen Religionsunterrichts ist also ökumenisch.“
Prantl gibt also unumwunden zu, dass der Religionsunterricht alter Prägung ausgedient hat, weil er nicht mehr in unsere heutige Gesellschaft passt. Leider übersieht er dabei, wie so viele mit ihm, dass es hier zwei gewichtige Probleme gibt: Zum einen ist der von ihm propagierte ökumenische Religionsunterricht nicht vom Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes gedeckt, weil er eben nicht konfessionsgebunden ist; er wäre letztendlich ein Fach wie alle anderen Fächer. Und zum anderen lässt Prantl mal eben die Hälfte der Bevölkerung – nämlich alle, die sich nicht als religiös definieren – komplett außen vor. Die dürfen dann eben weiter in den Ethik-Unterricht. Also doch wieder Schubladendenken, nur halt anders: Hier die einen, die glauben (egal, was), dort die anderen, die Ungläubigen. Wobei die einen in dem Fach (Religion) Abitur machen können, die anderen (Ethik) zurzeit nicht. Same same, but (just a little bit) different.
Wenn man all das betrachtet, fragt man sich, warum Prantl in seinem Text die Antwort auf die entscheidende Frage verweigert: Was spricht eigentlich dagegen, alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam zu unterrichten in einem Fach, das „Philosophie, Ethik und Religionskunde“ heißen könnte? Hier könnten ethische Fragen diskutiert und die Antworten unterschiedlicher Weltanschauungen und Religionen behandelt werden, sachorientiert und ohne dogmatische Ausrichtung. Win win für alle. Oder fast.
Es geht hier nicht um Folklore, sondern um eine Dimension des Menschseins und um einen Schlüssel zur Welt.
Und deshalb möchte Heribert Prantl auch genau das nicht. Er will, dass die Schulen weiterhin der verlängerte Arm der Kirchen in Sachen religiöser Indoktrination sind: „Fragen, die um Gott, das Heilige und das ewige Leben kreisen, die Glaubensinhalte also, dürfen aus der Schule jedenfalls nicht ganz verschwinden.“ Warum das seiner Meinung nach nicht passieren darf, sagt er leider nicht. Immerhin kommen ziemlich viele Menschen auch ohne einen Glauben an das ewige Leben ganz gut im diesseitigen Leben klar.
Und so klingt Prantls Argumentation stark nach dem letzten Gefecht. Vielleicht, weil ihm nur zu bewusst ist, dass diese für ihn als religiösen Menschen so wichtigen Überzeugungen ganz schnell verschwinden würden ohne staatliche Förderung und ein Fach „Ethik für alle“ letztendlich die bessere Alternative wäre. Wobei es jeder Religion ja völlig unbenommen bliebe, ihre Lehren in ihren eigenen Organisationen an ihre Mitglieder weiterzugeben. Aber an den Erfolg dieser Strategie scheint zumindest er nicht zu glauben.