So rief es mir aus dem „Weihnachtsmarkt“-Prospekt des „bild der wissenschaft“ Shops unvermutet entgegen. Als neugierige Atheistin kann man da natürlich nicht wegsehen und so entdeckte ich ein Strategiespiel mit dezent missionarischem Unterton. Der Auftrag aus einem der vorigen Jahrhunderte lautet: „Zuerst war die Kirche da – drumherum müssen Sie Ihre zusammenhängende Siedlung bauen … Und weil das recht kompliziert ist, gibt es noch den Pfarrer, der Ihnen aus so mancher Zwickmühle hilft.“ Also fast wie im richtigen Leben.
Eine kleine Recherche ergab: Hinter dem Spiel steht die Evangelische Verlagsanstalt, kurz EVA, ein konfessionelles Medienunternehmen, Gesellschafter u.a. die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland. Zu EVA gehört auch der chrismon Shop, über den das Spiel lange Zeit ausschließlich zu kaufen war. Um Missverständnisse auszuschließen: Das Spiel ist so einfach wie pfiffig und sehr schön aus Holz gearbeitet.
Was befremdet, ist der antiquierte Gedanke dahinter, nämlich dass die Kirche immer noch der Mittelpunkt des Dorfes ist. Eine Sichtweise, die sich im Übrigen mit der des Hessischen Rundfunks deckt. In der hr-Serie „Das Dolle Dorf“ werden wo immer möglich die Aktivitäten des jeweiligen Pfarrers oder der jeweiligen Pfarrerin ausführlich dargestellt. In der Moderaton hieß es sogar, in dem Dorf, über das berichtet wurde, gäbe es glücklicherweise noch eine Kirche. Unser Nachfrage, warum „glücklicherweise“, wurde bislang nicht beantwortet, aber das nur am Rande.
Zuerst war die Kirche da – drumherum müssen Sie Ihre zusammenhängende Siedlung bauen.
Lass die Kirche im Dorf, Spielanleitung
Tatsache ist, die Kirche spielt im Leben der Menschen, auch der auf dem Dorf, immer weniger die Hauptrolle. Und auch die Zahl der Pfarrer:innen – katholisch wie evangelisch – geht konstant zurück. Bei den Katholiken ist die Zahl der Priester seit 1997 um 30 Prozent gesunken, die der Priesterkandidaten sogar um 72 Prozent. Der possierliche Monsignore aus dem Spiel ist definitiv Vergangenheit. Gefragt ist heute eher der Typ Wanderprediger, der mehrere Gemeinden betreut und zwischen ihnen hin- und herpendelt. Was vielleicht auch daran liegt, dass der Bedarf an christlicher Lebensbetreuung deutlich gesunken ist: Die Zahl der katholischen Taufen ging von 2000 bis 2019 und 32 Prozent zurück, die Zahl der katholischen Trauungen sogar um 40 Prozent.
In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau soll die Zahl der Pfarrstellen von 2020 bis 2024 von jetzt 1500 auf 1300 reduziert werden.
Evangelische Kirche sucht in den kommenden Jahren tausende Pfarrer
In der evangelischen Kirche sieht es nicht viel besser aus (nur es ist hier schwieriger, an Zahlen zu kommen). Immerhin: Die Konfirmationen sind von 2008 bis 2019 um satte 35 Prozent zurückgegangen. Und die EKD leidet schon seit einigen Jahren unter einem massiven Altersproblem: 2014 war die Hälfte der ordinierten Theologen in der Landeskirche Hannover 52 Jahre und älter – Tendenz rapide steigend.
So betrachtet ist das kleine Strategiespiel „Lass die Kirche im Dorf“ wohl eher Teil einer größeren Strategie, die darauf abzielt, die heile Welt der 1950er Jahre (oder weit davor) heraufzubeschwören, wohl wissend, dass diese Zeit wohl endgültig der Vergangenheit angehört.
Quellen
bild der wissenschaft Shop: Brettspiel Lass die Kirche im Dorf
Statista: Anzahl der katholischen Priester seit 1997
Statista: Katholische Kirche – neu aufgenommene Priesterkandidaten
Statista: Priesterweihen der katholischen Kirche
Statista: Anzahl der Taufen für die katholische Kirche in Deutschland seit 1978
Statista: Trauungen in der katholischen Kirche in Deutschland
Statista: Konfirmationen in Deutschland seit 2002
Fowid: Pastorenmangel ab 2030
Evangelisch.de: Vom Seelsorger zum Wanderprediger
Evangelisch.de: Evangelische Kirche sucht in den kommenden Jahren tausende Pfarrer