Kirchen und Schule – ein Match Made in Heaven

Staatliche Schulen sind – gemäß Grundgesetz – zu religiöser Neutralität verpflichtet. Natürlich gibt es den ebenfalls im Grundgesetz festgeschriebenen konfessionellen Religionsunterricht, alternativ dazu auch anderen Weltanschauungsunterricht oder Ethik als Ersatzfach. Aber das sollte es dann gewesen sein mit Religion in Schulen. Werbung für Religionen und Weltanschauungen hat dort nichts zu suchen – denn Religionsfreiheit bedeutet eben auch Freiheit von Religion. Leider hat sich das bei vielen Kirchenvertretern noch nicht herumgesprochen, wie zwei aktuelle Fälle aus Hessen zeigen.

Fall 1: Ein Geschenk zur Einschulung

6. September 2022: 130 Kinder feiern ihre Einschulung in die Wilhelm-Leuschner-Schule in Egelsbach. Über die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer verteilt die evangelische Kirche Egelsbach an alle Erstklässler eine kleine Papiertüte, darauf der Slogan „Lesen in Gottes Welt“. In der Tüte befindet sich das Erstleserbuch mit dem Titel „Pudel, Pauken und ein Plan“, ein an die Kinder gerichtetes Anschreiben der Kirchengemeinde sowie eine Broschüre „Lesen in Gottes Welt“ für die Eltern.

„Wenn Sie Ihr Kind zur Schule verabschieden, streicheln Sie seinen Kopf und sprechen Sie: ‘ Gott segne Dich an diesem Tag.’ Und dann ab!“

Aus der Broschüre für Eltern der Kirche Egelsbach

Mit der Broschüre möchte die Kirche den Eltern einen Leitfaden für die beginnende Schulzeit und das Lesenlernen mit Kindern an die Hand geben. In grün unterlegten „TIPPS“ werden Botschaften vermittelt, mit denen der Start in die Schulzeit leichter fallen soll. Hier eine kleine Kostprobe kirchlicher Erziehungsweisheit: „Wenn Sie Ihr Kind zur Schule verabschieden, streicheln Sie seinen Kopf und sprechen Sie: ‘ Gott segne Dich an diesem Tag.’ Und dann ab!“

Ganz offensichtlich fehlt hier jedes Unrechtsbewusstsein – bei der Kirche, vor allem aber bei Schulleitung und Lehrkräften. Weltanschauliche Neutralität? Leider Fehlanzeige. Man kommt sich zurückversetzt vor in die Welt der 1950er-Jahre, als die Kirche das Maß aller Dinge war. Pikantes Detail bei der ganzen Angelegenheit: Der Pfarrer der evangelischen Kirche in Egelsbach, Martin Diehl, ist in Sachen Missachtung des staatlichen Neutralitätsgebotes kein unbeschriebenes Blatt, sondern ein Überzeugungstäter.

Der Glaube ist keine Privatsache, die hinter Mauern eingesperrt gehört; wir haben den Auftrag, der Welt eine frohe Botschaft zu verkünden.

Pfarrer Martin Diehl (Evangelische Sonntagszeitung, 08.04.2012)

So hatte er bereits 2010 für eine heftige Kontroverse gesorgt, als er drei mehr als zwei Meter große Holzkreuze, die von Kindern im Rahmen einer Kinderbibelwoche bemalt worden waren, in Egelsbach an exponierten Stellen auf öffentlichem Grund hatte aufstellen lassen. Erst nach massiven Protesten säkularer Gruppen waren die Kreuze damals abmontiert worden. Leider hat Pfarrer Diehl bis heute nicht verstanden, warum sowohl damals die Kreuze, als auch heute die Tüten für Erstklässler eine dreiste Missachtung des Grundgesetztes sind. Statt dessen kommt in solchen Fällen gern der Spruch: „Die Atheisten wollen den Kindern jede Freude nehmen.“ Nein, wollen wir nicht. Wir möchten nur, dass das Grundgesetz respektiert wird und dass Kinder in der Schule keiner unfreiwilligen Missionierung ausgesetzt sind.

Fall 2: Klassenfahrt ins Reliland

Eine hessische Schule bietet eine dreitägige Klassenfahrt mit dem Titel „Tage der Orientierung“ an, so angekündigt auf einem Elternabend und auch auf der Website der Schule unter „Schulseelsorge“. So weit, so fein. Als der Termin der Klassenfahrt näher rückt, werden aus den „Tagen der Orientierung“ auf einmal „Tage der religiösen Orientierung“, wie die Veranstaltung nun im Infoschreiben an die Eltern heißt. Wo Schule draufsteht, ist auf einmal Kirche drin: Die Veranstaltung findet statt in kirchlichen Räumlichkeiten, bezuschusst wird das Ganze von der Kirche mit einem zweistelligen Betrag pro Schüler und Tag, regelmäßige Gebete sind Teil des Ablaufs … Aber immerhin: Mitbeten muss keiner, Mund halten und zuhören ist auch ok.

Diese Veranstaltung ist kein einmaliger Ausrutscher, sie findet bereits zum wiederholten Male statt. Das Vorgehen der Schule – oder genauer gesagt: des Schulseelsorge-Teams – ist immer dasselbe: Der religiöse Twist der Veranstaltung wird erst kurz vorher kommuniziert. Besonders perfide: Falls Eltern Bedenken haben und ihre Zustimmung nicht geben möchten, wird die pädagogische Moralkeule ausgepackt: Kinder, die nicht mitfahren, würden aus der Klassengemeinschaft herausgeholt und versäumten gruppendynamisch wertvolle Prozesse, die nicht nachgeholt werden könnten. 

Dass da bei keinem der beteiligten Lehrkräfte eine Glocke klingelt, ist höchst bedenklich. Hier würde sich lohnen, das Konstrukt der Schulseelsorge einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn die für die Veranstaltung Verantwortlichen werden für ihre schulseelsorgerische Tätigkeit von der Kirche bezahlt. Hier müsste also die Schulleitung einschreiten, denn eine solche Veranstaltung hat eindeutig nichts mehr mit Schulseelsorge zu tun, sondern ist Teil der kirchlichen Nachwuchsrekrutierung. 

Die Kinder als Geiseln

Diese zwei Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Die enge Zusammenarbeit von Kirchen und Schulen kommt meist nur dann ans Licht, wenn Eltern das böse Spiel nicht mitspielen und sich an säkulare Organisationen wenden, um Unterstützung zu erhalten. Doch nur wenige Eltern trauen sich, offen zu widersprechen und die Auseinandersetzung mit der Schule zu suchen. Denn die Schulen reagieren auf so etwas nicht etwa beschämt, sondern setzen die renitenten Eltern mehr oder weniger subtil unter Druck, indem sie ihnen suggerieren, dass sie die einzigen seien, die sich daran störten und dass die Kinder das ausbaden müssten. Hier sind leider noch einige sehr dicke Bretter zu bohren. 

Wir können nur allen Eltern, Schülerinnen und Schülern Mut machen, in einem solchen Fall die weltanschauliche Neutralität, die das Grundgesetz garantiert, einzufordern und sich Hilfe zu holen, z.B. bei der Humanistischen Gemeinschaft Hessen.

Offener Brief: Gott zu Gast bei der Einschulung in Egelsbach

Rechtsverordnung für die Schulseelsorge in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau