Ist die Evolutionstheorie religionskritisch?

Die Evolutionstheorie ist heute bei den meisten Menschen unumstritten. Zwar meinen manche, der Zusatz „-theorie“ besage, dass es eben keine „Wahrheit“ sein. Doch wissenschaftliche Theorien sind nun einmal – anders als mathematische Gesetze – nicht eindeutig beweisbar. Es sind Modelle, die Beobachtungen beschreiben, Ergebnisse von Experimenten erklären und Voraussagen ermöglichen. Wenn es sich als nötig erweist, werden wissenschaftliche Theorien überarbeitet. Das unterscheidet sie von Glaubenssystemen. Auch die Evolutionstheorie wurde und wird in Details immer mal wieder modifiziert. Doch in ihren wesentlichen Aussagen ist sie so gut belegt wie kaum eine andere wissenschaftliche Theorie. Wo Darwin noch Neuland betrat, herrscht heute – Kreationisten mal ausgenommen – Einigkeit. 

Die Evolutionstheorie auf 1000 Metern erleben

Und weil das Wissen über die Evolution zu unseren Grundkenntnissen gehören sollte, kamen die Säkularen Humanisten Rhein-Neckar, quasi der aktivistische Arm der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), auf die Idee, einen Evolutionsweg zu entwickeln: 20 Infotafel, auf denen die wichtigsten Stationen der 4100 Millionen Jahre langen Geschichte des Lebens auf der Erde dargestellt werden (https://evolutionsweg.de/).

Der Trick dabei: Die Abstände zwischen den Tafeln machen die ungeheuren Zeiträume zwischen den Ereignissen der Evolution konkret erfahrbar. Sind die ersten Tafeln noch hunderte Meter entfernt, so stehen die letzten Tafeln zur Entwicklung der Säugetiere und des Menschen direkt nebeneinander.

Evolutionsweg Leimen – Beginn des 1000 Meter langen Weges

Mittlerweile gibt es den Evolutionsweg bereits an acht Standorten in Deutschland sowie einmal in der Schweiz – und es kommen laufend welche dazu. Das Konzept funktioniert wie ein Franchise-System: Die Tafeln sind modular konzipiert, schnell aufgebaut und können über Sponsoren finanziert und auch gepflegt werden. Der Aufwand für die Gemeinden ist minimal. Also eigentlich eine feine Sache, sollte man meinen. 

Aber kaum wird die Frage „Wie hältst Du’s mit der Evolution?“ konkret, zeigen sich erstaunliche Widerstände. Schon 2020 hatte die Westerwald-Gemeinde Hellenhahn-Schellenberg den bereits beschlossenen Evolutionsweg per Bürgerbefragung wieder abgeblasen, weil kirchliche Aktivist*innen vehement dagegen Stimmung gemacht hatten. Steuergelder für wissenschaftliche Bildung auszugeben, das wäre dann doch zu viel des Guten gewesen. Mit dieser stramm rückwärts gerichteten Haltung schaffte es Hellenhahn-Schellenberg sogar in die Satire-Sendung „extra 3“.

Eltville und der Evolutionsweg – kein Match made in Heaven

Nun könnte man sagen, dass Hellenhahn-Schellenberg in Sachen Evolution zumindest so etwas wie Haltung zeigte. Was man von Eltville, der selbst ernannten Wein-, Sekt- und Rosenstadt am Rhein, leider nicht behaupten kann. Auch hier kam jemand auf die Idee mit dem Evolutionsweg und zunächst sah es sogar richtig gut aus: Die Grünen brachten den Antrag in die Stadtverordnetenversammlung, der Ausschuss für Jugend, Soziales, Sport und Kultur stellte sich hinter den Vorstoß und sogar ein Sponsor war gefunden: Hans Trutnau, Gründer des Biotechnologie-Unternehmens Kinomic, war bereit 10.000 Euro locker zu machen. Reine Formsache also?

Nicht ganz. Denn auf einmal geriet das Projekt ins Stocken. Der Ausschuss wollte einen Vertrag mit dem Sponsor, und die knappe Mehrheit aus CDU und FDP beschloss, den Punkt erstmal zu verschieben. Dumm nur, dass das in der letzten Sitzung vor den Kommunalwahlen geschah. Der Antrag hätte nun nach der Wahl neu gestellt werden müssen. Grundsätzlich kein Problem, sollte man denken. Doch die Grünen hatten das Thema wohl irgendwie „vergessen“. Auch vermuteten sie, die CDU habe ein Problem mit der als religionskritisch geltenden gbs, die hinter dem Konzept des Evolutionswegs steht. Dies verneinten zwar die Fraktionsvorsitzenden der CDU, erwähnten aber stattdessen „Unmut darüber, wie der grüne Antragsteller das Projekt im Ausschuss verkauft habe“. Was das genau bedeuten soll, verrieten sie leider nicht. Immerhin, die ungeliebte Kuh ist mittlerweile vom Eis, Sponsor Trutnau hat sein Angebot zurückgezogen, er fühlt sich „veräppelt. Zu recht vermutlich. 

Bericht im Wiesbadener Kurier

Evolution macht Angst

Angesichts dieses Vorgehens der Eltviller Politik muss man sich fragen, warum das Projekt Evolutionsweg anscheinend vielen in der Politik eine Heidenangst einjagt. So viel Angst, dass in einer Gemeinde mit etwas über tausend Bürger*innen erbitterte Lagerkämpfe ausbrechen und in einer anderen Gemeinde 10.000 Euro für ein wissenschaftspädagogisches Projekt ausgeschlagen werden. Denn eigentlich hat die Kirche mit der Evolution doch gar kein Problem. Oder geht es vielleicht eher um die Hoheit über den öffentlichen Raum? Es darf spekuliert werden.

Um so schöner, dass die Gemeinde Egelsbach im Süden Frankfurts in Sachen Evolution schon deutlich weiter ist: Hier soll demnächst der erste hessische Evolutionsweg eröffnet werden, nach aktueller Planung noch im ersten Halbjahr 2022. Wir werden berichten.

HPD: Gemeinde im Westerwald will keinen Evolutionsweg