So manch eine:r mag sich in den letzten Tagen gefragt haben, was denn eigentlich die russisch-orthodoxe Kirche zu dem Krieg in der Ukraine sagt. Kirchen sehen sich ja gern als die Friedenshüter und Mahner gegen Gewalt. Das Töten von Kindern und das Foltern der Bevölkerung durch Kappung der lebensnotwendigen Ressourcen sollte doch eigentlich den christlichen Werten entgegenstehen. Nun ja, nicht, wenn die Grausamkeiten einem höheren Zweck dienen.
Eine unheilige Allianz
Was es bedeutet, wenn es keine klare Trennung zwischen Staat und Kirche, zwischen weltlicher Herrschaft und religiösen Strukturen gibt, erleben wir gerade in Russland. Patriarch Kyrill, Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, und Wladimir Putin, Präsident Russlands, bilden eine unheilige Allianz, die den Überfall auf die Ukraine als notwendig rechtfertigt. Von diesem innigen Verhältnis profitieren beide: Die Kirche freut sich über hohe staatliche Zuschüsse und mehr Einfluss auf die Gesellschaft, während Putin vom Patriarchen uneingeschränkte Unterstützung seiner imperialen Politik erhält.
Diese Harmonie kommt nicht von ungefähr: Putins imperiale Politik basiert auf demselben Geschichtsverständnis wie das Weltbild der russisch-orthodoxen Kirche, und zwar auf der Einheit der russischen Nation. Für Kyrill wie für Putin ist die Ukraine Teil ihres Herrschaftsbereichs. Ihr großrussisches Sendungsbewusstsein enthält eine zutiefst sakrale Dimension. Noch einen Tag vor Kriegsbeginn hatte Kyrill Putin zum „Tag des Vaterlandsverteidigers“ gratuliert. Der Kriegsdienst ist für die russisch-orthodoxe Kirche eine Bekundung von „Nächstenliebe nach dem Evangelium“. Mord als Nächstenliebe, darauf muss man erst mal kommen.
Böse Kräfte aus dem Westen
Zwar erklärte der Patriarch, dass die „sich vollziehenden Ereignisse“ sein Herz mit tiefem Schmerz erfüllten und er großes Mitgefühl mit all jenen habe, die vom Unglück getroffen wurden.“ Doch über Putin als dem für all das Leid Verantwortlichen kein Wort. Nicht etwa Russland als Angreifer ist laut Kyrill verantwortlich, sondern „böse Kräfte“, die „immer gegen die Einheit der Rus und der Kirche gekämpft“ hätten. Ganz ähnlich klingt das bei Putin, wenn er dem Westen vorwirft, „unsere traditionellen Werte zu zerstören und uns seine Pseudowerte aufzudrängen, die uns, unser Volk von innen zerfressen sollen.“
Kreuzzugserprobte Argumentation
Ein heiliger Krieg also. Wenn Politik sich auf transzendente Werte beruft, sollten die Alarmglocken schrillen, denn das bedeutet, dass nicht mehr auf Basis realer Möglichkeiten argumentiert und entschieden wird, sondern im Hinblick darauf, was ein vermeintlich höheres Wesen will. Deus lo vult – der Schlachtruf zum ersten Kreuzzug funktioniert noch immer. Wer seine Taten nicht mehr gegenüber den Mitmenschen verantwortet, sondern gegenüber einer jenseitigen Macht, der ist im wahrsten Sinne des Wortes jenseits von Gut und Böse,
Zum Weiterlesen:
FAZ – Putins Geschichtsbild: Mit Gott und Granaten
Salzburger Nachrichten – Expertin: Russische Kirche für Krieg mitverantwortlich