Den Kirchen laufen die Schäfchen scharenweise davon – wie diesen Trend umkehren oder zumindest aufhalten? Der marketingaffine Mensch weiß, das schreit nach einer Auffrischung des Marken-Images, auch „Rebranding“ genannt. Der hr Newsletter „Religion und Kirche“ – immer auf der Höhe der Zeit – nimmt sich des Themas in seiner Dezember-Ausgabe an. Aufhänger ist die kirchliche Segnung zweier Nichtkirchenmitglieder anlässlich ihrer Trauung. Da diese beiden aber nicht Otto und Ottilie Normalmensch waren, sondern Christian Lindner nebst Angetrauter, schlug dieser Vorgang zumindest in der Welt der Kirchen einige Wellen.
Als Christian Lindner im August 2022 auf Sylt kirchlich heiratete, gab es unter treuen Kirchensteuerzahlern einen Sturm der Entrüstung.
hr Newsletter „Kirche und Religion“, Dezember 2023
Nun kann man sich auch als ungläubiger Mensch fragen, was die beiden dazu getrieben hat, aber Gottlose sind da anscheinend etwas entspannter als die treuen Kirchensteuerzahler. Was man irgendwie auch verstehen kann, denn wo kämen wir hin, wenn sich jeder die kirchlichen Leistungen ohne monatliches Entgelt erschleichen würde. Immerhin, die Kasseler Bischöfin Beate Hoffmann findet das gar nicht schlimm. Sie meint:
Menschen bei Taufe, Trauung oder Beerdigung gut zu begleiten und ein persönliches Fest zu feiern, ist eine Stärke der Kirche.
Ihr Ziel ist es für die Kirche, „unterschiedliche Formen von Religiosität und Kirchenbindung zu akzeptieren, ohne die treuen Kirchensteuerzahler zu vergrämen“. Der Grund ist simpel, mensch muss heute nicht mehr in der Kirche heiraten, der Traum in Weiß lässt sich auch sehr gut ohne religiösen Überbau erleben. Im kirchlichen Marketing-Sprech klingt das dann so:
Tatsächlich steht die Kirche heute bei Hochzeit und Beerdigung längst in Konkurrenz zu freien „Ritualanbietern“.
Dass die Kirchen auch bei klassischen Lebensritualen wie Taufe, Trauung und Beerdigung längst nicht mehr für alle erste Wahl sind, davon kann man sich beim TV-Trash-Format „Zwischen Tüll und Tränen“ überzeugen. Von den Brautkleidsuchenden feiern rund die Hälfte das Ereignis im Rahmen einer freien Trauung. Die recht ausgewogene Quote kann natürlich auch an der Auswahl der Redaktion liegen, aber selbst dann spricht das Bände, denn offensichtlich entspricht es dem Zeitgeist, auch ohne kirchlichen Segen in den Hafen der Ehe zu segeln.
Interessant an dem obigen Zitat (und irgendwie auch erfrischend ehrlich) ist zum einen, dass die Kirche sich selbst als „Ritualanbieter“ definiert. Und zum zweiten, dass sie davon abrückt, dass die Vereinsmitgliedschaft Voraussetzung für ihre Dienstleistungen ist. Da hat jemand Handlungsbedarf erkannt:
Fragen wir zuerst nach der Kirchenmitgliedschaft, um zu entscheiden, ob jemand getraut, beerdigt oder Taufpate werden kann? Oder bieten wir Segen und Begleitung an, ohne Bedingungen zu stellen?
Anders ausgedrückt: Wenn die Leute schon nicht von der Kirche als Abo überzeugt sind, vielleicht nehmen sie ja ab und zu eine Portion Segen mit? Damit werden religiöse Rituale endgültig zur folkloristischen Wohlfühlveranstaltung. Wer’s mag …
Wer’s nicht mag, findet vielleicht hier was Passendes: