2022 – Gute Aussichten für Säkulare?

Während weltweit religiöser Fanatismus auf dem Vormarsch ist, man denke nur an die Taliban in Afghanistan, sieht es bei uns in Deutschland Ende 2021 gar nicht mal so schlecht aus für den Säkularismus. Schauen wir einmal genauer hin.

Vor einem Jahr betrug der Anteil der Menschen, die Mitglied in einer der beiden großen Kirchen sind, ziemlich genau 51 Prozent. Hessen lag mit 52,8 Prozent (21,2 Prozent Katholiken und 31,6 Prozent Protestanten) leicht über dem Bundesdurchschnitt. Vor dem Hintergrund der nach wie vor hohen Zahlen an Kirchenaustritten ist es also wahrscheinlich, dass Ende 2021 weniger als die Hälfte der Bundesbürger:innen Kirchenmitglied sind. 

Kirchen repräsentieren nicht mehr die Mehrheit

Nun hat das Unterschreiten dieser Schwelle sicherlich erstmal nur symbolischen Wert, aber auch der ist nicht zu unterschätzen: Die Kirchen können nun nicht mehr behaupten, die Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten. Natürlich sind sie immer noch überproportional in vielen relevanten Gremien präsent, genannt seinen hier nur der Ethikrat oder die Rundfunkräte, und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben. Doch das Fundament bröckelt und das fühlt sich erstmal gut an.

Auch 2021 ist Ein Gottloser Kanzler noch eine Schlagzeile wert

Zumal es mit der neuen Bundesregierung erstmals einen konfessionsfreien Bundeskanzler gibt. Olaf Scholz, evangelisch getauft und aus der Kirche ausgetreten, hat bei seinem Amtseid auf transzendenten Beistand verzichtet. Acht seiner 17 Minister:innen taten es ihm gleich.

Minister:innen ohne Gottes Beistand:

Robert HabeckVize-Kanzler und WirtschaftsministerDie Grünen
Annalena BaerbockAußenministerinDie Grünen
Cem ÖzdemirLandwirtschaftsministerDie Grünen
Steffi LemkeUmweltministerinDie Grünen
Anne SpiegelFamilienministerinDie Grünen
Svenja SchulzeEntwicklungsministerinSPD
Wolfgang SchmidtKanzleramtsministerSPD

Die Eidesformel mit religiösem Bekenntnis nutzen 9 Minister:innen:

Marco BuschmannJustizministerFDPKatholisch
Bettina Stark-WatzingerBildungsministerinFDPKatholisch
Volker WissingVerkehrsministerFDPEvangelisch
Christian LindnerFinanzministerFDPKonfessionslos
Karl LauterbachGesundheitsministerSPDKonfessionslos
Nancy FaeserInnenministerinSPDKatholisch
Hubertus HeilArbeitsministerSPDEvangelisch
Christine LambrechtVerteidigungsministerinSPDEvangelisch
Klara GeywitzBauministerinSPDEvangelisch

Interessanterweise sind unter diesen neun mit religiöser Eidesformel auch zwei, nämlich Christian Lindner und Karl Lauterbach, die keiner Kirche angehören. So wie unter denen ohne religiös bezogene Eidesformel mindestens zwei sind, die sich nicht als Atheisten sehen: Robert Habeck bezeichnet sich als „säkularen Christen“ und Cem Özdemir sieht sich als „säkularen Muslim“. Vielmehr erstaunt vielleicht die hohe Anzahl von Ministerinnen und Ministern, die keine Angabe machen, nämlich fast die Hälfte (Mehr Details zu der weltanschaulichen Zusammensetzung der Bundeskabinette bietet fowid). Sich als Atheist zu outen, ist nach wie vor riskant (oder wird als riskant wahrgenommen), zumal auf der politischen Bühne.

Hoffnung auf frischen Wind in der Politik

All das spiegelt ganz gut die aktuelle gesellschaftliche Situation wider. Auch hier kann man weder davon ausgehen, dass Kirchenmitglieder zwingend gläubig sind, noch dass Menschen, die nicht in der Kirche sind, zwingend Atheisten oder Agnostiker sind. Die Situation ist deutlich komplexer: Menschen bleiben aus den unterschiedlichsten Gründen in der Kirche – u.a. weil ihr Job davon abhängt oder weil sie sonst keinen Kindergartenplatz bekommen oder weil die Familie das nicht verstehen würde. Und genauso treten Menschen aus den verschiedensten Gründen aus der Kirche aus – wegen der Kirchensteuer, den Missbrauchsskandalen oder weil sie schlicht als Kind getauft wurden ohne gefragt worden zu sein. 

In jedem Fall darf man hoffen, dass mit der neuen, konfessionsfreieren Bundesregierung frischer Wind in verschiedene Diskussionen kommt. So finden sich im Koalitionsvertrag als Ziele die Abschaffung des Paragraphen 219a, der die Information über Schwangerschaftsabbrüche erschwert, und die Ablösung der Staatsleistung in einem „fairen Rahmen“. Bei letzterem Thema hat sich bereits in der letzten Zeit bei den Kirchen zunehmend eine offenere Haltung angedeutet. Und auch wenn die endgültige Ablösung der Staatsleistungen – nach optimistischen Schätzungen – noch mindestens 20 Jahre dauern dürfte, so ist doch allmählich ein Silberstreif am Horizont zu erkennen. Dennoch und bei allem Optimismus: Es gibt viel zu tun. In diesem Sinne wünschen wir allen einen guten Start ins neue Jahr!

Quellen:

Wer es noch mal sehen und hören möchte: Hier die Videos von der Vereidigung des Bundeskanzlers und der Minister:innen:

https://de.richarddawkins.net/articles/schwur-ohne-gott

https://fowid.de/meldung/religionszugehoerigkeiten-2020

https://fowid.de/meldung/bundesregierungen-1949-2021-nach-konfessionen