Spontane Solidaritätskundgebung am Abend des 7. Januar an der Pariser Place de la République. Bildhinweis:
GodefroyParis, Place de la République, 18h50, une foule silencieuse, CC BY-SA 4.0
Zum 10. Jahrestag des Anschlags auf Charlie Hebdo – ein Blick zurück:
2.11.2004 | Der Filmemacher Theo van Gogh wird in Amsterdam von einem Islamisten auf offener Straße getötet. Grund ist sein Film „Submission“ über die Unterwerfung der Frauen im Islam. |
17.09.2005 | Kåre Bluitgen, ein dänischer Schriftsteller, veröffentlich einen Artikel im „Politiken“, um sich die Selbstzensur gegenüber dem Islam zu kritisieren. Er hatte niemanden gefunden, der bereit gewesen wäre, Illustrationen zu seinem Buch über das Leben Mohammeds zu machen. |
30.09.2005 | Die dänische Zeitung Jyllands Posten druckt 12 Mohammed-Karikaturen, die sie nach einem Aufruf an die dänische Gewerkschaft der Karikaturisten erhalten hatten. |
17.10.2005 | Dieselben Karikaturen werden in der ägyptischen Zeitschrift „Al Fadschr“ („Die Morgendämmerung“) abgedruckt, während des Ramadan, ohne eine Reaktion auszulösen. |
Dezember 2005 | Eine Gruppe dänischer Imame, größtenteils Anhänger der Muslimbruderschaft, und einigen Salafisten reisen zu verschiedenen Hauptstädten der arabischen Welt mit einer Mappe, die nicht nur die Karikaturen aus der Jyllands Posten, sondern drei weitere Karikaturen enthält. Zwei von diesen stammen von US-amerikanischen Webseiten von Anhängern der White Supremacy. Eine weitere Karikatur zeigt einen Menschen mit Schweineohren und der Schnauze eines Schweins mit der Unterschrift „Und hier der Prophet Mohammed, wie der im Westen dargestellt wird.“ Das Bild stammt in Wirklichkeit von einem Fest mit den Namen „Das Quieken des Schweins“, das jedes Jahr in der Stadt Tulle gefeiert wird. Im Anschluss daran gibt es in der arabischen Welt Massendemonstrationen, brennende Flaggen, Angriffe auf Botschaften usw. Bei den gewaltsamen Protesten sterben weltweit etwa 150 Menschen. |
Januar 2006 | Die Organisation der „Islamischen Konferenz“, der 57 Staaten angehören, die UN angerufen, um ein weltweites Verbot der Blasphemie zu erreichen. Sie forderte die Anwendung der „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ aus dem Jahre 1990, insbesondere Artikel 22, gemäß dem „Jeder Mensch (…) das Recht auf freie Meinungsäußerung (hat), soweit er damit nicht die Grundsätze der Scharia verletzt.“ Der Rat der Menschenrechte der UN verabschiedete daraufhin eine (nicht bindende) Resolution, gemäß der alle Gesetzgebungsverfahren weltweit dahingehend verändert werden müssten, „jede Art der Diffamierung von Religion zu bekämpfen.“ |
01.02.2006 | Die Zeitung „France Soir“ veröffentlich die Mohammed-Karikaturen. Der verantwortliche Chefredakteur Jaques Lefranc wird daraufhin von dem Eigentümer, dem franko-ägyptischen Geschäftsmann Raymond Lakai, gefeuert. |
08.02.2006 | Charlie Hebdo druckt die Mohammed-Karikaturen aus der dänischen Jyllands Posten nach, |
2006 – 2008 | Die Große Moschee von Paris und die Union des organisations islamiques de France versuchen, eine einstweilige Verfügung gegen die Veröffentlichung der Karikaturen durch Charlie Hebdo zu erwirken. Diese wird abgewiesen. 2007 kommt es zum Gerichtsverfahren, das Charlie Hebdo Recht gibt. Am 23.01.2008 wird das Urteil vom Pariser Berufungsgericht bestätigt. |
02.11.2011 | Unter dem Titel Charia Hebdo veröffentlicht Charlie Hebdo ein Sonderheft zum Wahlerfolg der Islamisten in Tunesien und benennt dabei als Chefredakteur „Mohammed“, der auch als Karikatur mit den Worten „100 Peitschenhiebe, wenn Sie sich nicht totlachen!“ auf der Titelseite abgebildet war. Am selben Tag wird ein Brandanschlag auf die Redaktionsräume von Charlie Hebdo verübt. |
September 2012 | Charlie Hebdo veröffentlicht weitere Mohammed-Karikaturen. In La Rochelle wird ein Mann festgenommen, der zum Mord an Chefredakteur und Herausgeber Stéphane Charbonnier aufgerufen hatte. |
03.2013 | Charbonnier wird als eine von zehn Persönlichkeiten „tot oder lebendig wegen Verbrechen gegen den Islam“ im Online-Magazin Inspire, einem dem Al-Qaida-Zweig Al-Qaida im Jemen zugeschriebenem Magazin, „zur Fahndung“ ausgeschrieben |
07.01.2015 | Die Titelseite von Charlie Hebdo thematisiert den am selben Tag erschienenen Roman Soumission von Michel Houellebecq, der ein islamisiertes Frankreich des Jahres 2022 beschreibt, in dem die Scharia eingeführt wird. In derselben Ausgabe erschien außerdem eine der letzten Karikaturen des Chefredakteurs Charbonnier, mit der Überschrift „Noch keine Attentate in Frankreich“ und der gezeichneten Antwort eines bewaffneten Islamisten: „Warten Sie ab. Man hat bis Ende Januar Zeit, seine Festtagsgrüße auszurichten.“ |
07.01.2015 | Attentat auf Charlie Hebdo. Die Brüder Chérif und Saïd Kouachi, die sich später zu Al-Qaida im Jemen bekennen, dringen in die Redaktionsräume ein, töten elf Personen (darunter einen zum Personenschutz abgestellten Polizisten), verletzen mehrere Anwesende und ermorden auf ihrer Flucht einen weiteren Polizisten. Die Täter können zunächst entkommen. Getötet wurden der Herausgeber und Zeichner Stéphane Charbonnier („Charb“), die Zeichner Jean Cabut („Cabu“), Bernard Verlhac („Tignous“), Philippe Honoré und Georges Wolinski, der Wirtschaftswissenschaftler und Mitinhaber der Zeitschrift Bernard Maris („Oncle Bernard“), der Lektor Mustapha Ourrad, der Kultur-Veranstalter Michel Renaud, die Psychiaterin und Psychoanalytikerin Elsa Cayat und der Personenschützer Franck Brinsolaro. Brinsolaro war als Beamter des Service de la protection der Police nationale für die Sicherheit von Charb zuständig, der seit dem Brandanschlag von 2011 unter Personenschutz stand. Verletzt wurden der Zeichner Laurent Sourisseau („Riss“), die Journalisten Philippe Lançon und Fabrice Nicolino sowie der Webmaster Simon Fieschi. |
08.01.2015 | Coulibaly ermordet eine Stadtpolizistin und verletzten einen Stadtreiniger durch einen Schuss schwer. Der Angreifer kann entkommen. |
09.01.2015 | Anschlag auf den Supermarkt Hyper Cacher: Der Attentäter Amedy Coulibaly ermordet vier Juden und nimmt weitere als Geiseln. Er bekennt sich zu der Organisation „Islamischer Staat“ und fordert freien Abzug für die Charlie Hebdo-Attentäter Saïd und Chérif Kouachi, die sich nach einer zweitägigen Flucht zeitgleich in einer Druckerei verschanzt haben. Coulibaly wird bei der Erstürmung des Supermarktes durch die Polizei erschossen. Etwa zur gleichen Zeit verlassen Saïd und Chérif Kouachi das Gebäude, in dem sie sich versteckt gehalten haben, und feuern auf die Spezialeinheiten der GIGN. Beim darauf folgenden Schusswechsel werden beide getötet. Die Opfer im Supermarkt waren Yohan Cohen (22, Angestellter des Supermarkts), Yoav Hattab (21, Elektriker),Philippe Braham (45, IT-Berater und Lehrer) sowie François-Michel Saada (64, pensionierter Manager). |
14.01.2015 | Die erste Ausgabe nach dem Attentat erscheint: Das von Zeichner Luz entworfene Cover zeigt die Karikatur eines weinenden Mohammed, der ein Schild mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ in den Händen hält. Die Überschrift lautet „Tout est pardonné“ („Alles ist vergeben.“). Abgesehen vom Titelbild wurde Mohammed im Magazin nicht mehr thematisiert. Die Karikaturen der ersten Ausgabe nach dem Anschlag beschäftigten sich u. a. mit Islamisten und den Attentätern, ohne dabei ihre Namen zu nennen. Zudem wurden auch Witze über Politiker und Jesus am Kreuz gemacht. Als die neue Ausgabe am 14. Januar in Frankreich veröffentlicht wurde, war die Erstauslieferung von einer Million Exemplare innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Daraufhin wurde die Auflage auf fünf Millionen erhöht. |
13.11.2015 | Bei islamistischen Anschlägen auf die Konzerthalle „Bataclan“ und Restaurants im Pariser Osten werden 130 Menschen getötet und 340 verletzt. Es ist der bis dahin schwerste Terroranschlag in Frankreich. |
14.07.2016 | In Nizza fährt während des Volksfestes zum französischen Nationalfeiertag ein islamistischer Attentäter mit einem Lastkraftwagen durch eine Menschenmenge. Er ermordet 86 Menschen und verletzt mehr als 400, zum Teil schwer. |
19.12.2016 | Der islamistische Attentäter Anis Amri fährt mit einem LKW in den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Er tötet 12 Menschen, fast 170 werden verletzt, teils schwer. Ein weiteres Opfer stirbt im Oktober 2021 an den Langzeitfolgen seiner Verletzungen. |
02.09.2020 | Der Gerichtsprozess gegen 14 mutmaßliche Mittäter beginnt. Von ihnen werden drei Personen in Abwesenheit angeklagt. Einen Tag später veröffentlicht Charlie Hebdo anlassbezogen in einer Sonderausgabe erneut die Mohammed-Karikaturen. In der Türkei, in Ägypten, im Iran und in Pakistan demonstrierten dagegen tausende von Menschen. 40 Prozent der vom Meinungsforschungsinstitut IFOP in Frankreich befragten Muslime gaben an, dass sie ihre religiösen Überzeugungen über die Werte der Republik wie Meinungs- und Gewissensfreiheit stellen. Bei den Muslimen unter 25 Jahren waren es sogar 74 Prozent. |
16.10.2020 | Ein 18-jähriger Islamist enthauptet den Geschichtslehrer Samuel Paty, der in einer Schulklasse im Rahmen einer Diskussion über Meinungsfreiheit Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte. |
16.12.2020 | Das Urteil im Prozess gegen die Helfer der Attentäter wird gesprochen: Der Hauptbeschuldigte im Prozess, Ali Riza Polat, wurde der Beihilfe zu Verbrechen mit Terrorhintergrund für schuldig befunden und zu einer Haftstrafe von 30 Jahren mit Sicherheitsverwahrung verurteilt, ebenso Coulibalys Lebensgefährtin Boumeddiene in Abwesenheit. Der vorsitzende Richter Régis de Jorna sah es als erwiesen an, dass Polat dem Attentäter Coulibaly in konkreter und detaillierter Weise entscheidend geholfen und ausreichend Kenntnis von dessen Absichten gehabt habe. Polat selbst hatte stets geleugnet, von den Anschlagsplänen gewusst zu haben. Der als religiöser Mentor Coulibalys geltende Mohamed Belhoucine wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, dessen Bruder Mehdi freigesprochen, beide in Abwesenheit, von beiden wird vermutet, dass sie inzwischen in Syrien ums Leben kamen. Die übrigen Angeklagten wurden zu Haftstrafen zwischen vier und zwanzig Jahren Haft verurteilt. |
12.08.2022 | Ein islamistisch motivierter Attentäter versucht, Salman Rushdie bei einer Veranstaltung mit einem Messer zu töten und verletzt ihn schwer. |
November 2024 | Charlie Hebdo ruft zu einem internationalen Wettbewerb gegen den Einfluss des Religiösen auf. Unter dem Motto »#ÜberGottLachen« sind Zeichnerinnen und Zeichner weltweit aufgerufen, ihrer „Wut über den Einfluss der Religionen auf persönliche Freiheiten“ Ausdruck zu verleihen. |
20.12.2024 | Urteilsverkündung Im Prozess gegen die Helfer des Mörders von Samuel Paty: Acht Menschen werden zu teils langen Haftstrafen verurteilt. Zu ihnen gehören der Vater der Schülerin, die die Anschuldigungen gegen Paty in Umlauf gebracht haben soll sowie ein islamistischer Prediger. Sie müssen für 13 beziehungsweise 15 Jahre ins Gefängnis. Zwei Freunde des Täters, die in die Pläne eingeweiht gewesen sein und den Täter zum Tatort gefahren haben, werden wegen Beteiligung an einem Terroranschlag zu 16 Jahren Haft verurteilt. |