Der rosa Elefant oder wir müssen leider draußen bleiben

Am Samstag erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel zum Thema Kopftuchurteil und Berliner Neutralitätsgesetz „Tuch oder nicht Tuch“. Die Betrachtungen, die der Autor Wolfgang Janisch dort anstellt, kann man mehr oder weniger interessant oder parteiisch finden. Das eigentlich erstaunliche – oder eben vielleicht auch nicht erstaunliche – ist, dass bei all diesen Betrachtungen rund um das Thema Religionsfreiheit und inwieweit das Verbot, ein Kopftuch zu tragen, im öffentlichen Dienst die religiöse Freiheit einschränkt, es nur und ausschließlich um die Freiheit geht, seinem Glauben in der Öffentlichkeit Ausdruck zu verleihen. 

SZ vom 23.09.2023

Dass Religionsfreiheit auch Freiheit von Religion meint und dass mittlerweile in Deutschland rund die Hälfte der Menschen nicht mehr religiös organisiert sind – trotz der Mitgliederrekrutierung unmündiger Säuglinge und Sonderlocken beim kirchlichen Arbeitsrecht – darüber wird kein Wort verloren. Die säkular orientierten Menschen kommen hier schlicht nicht vor. Sie sind der rosa Elefant im Raum, nicht übersehbar, aber drumherum wird fleißig weggeschaut, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Da schreibt Wolfgang Janisch allen Ernstes:

Dabei darf nach dem Grundgesetz Religion sichtbar sein, selbst im staatlichen Kontext. In Bayern hängen bis heute Kreuze in Behörden.

Wolfgang Janisch, Tuch oder nicht Tuch

Ja, Herr Janisch, und das ist ein Skandal, auch wenn Sie das in bizzarrer Verdrehung der Logik als Bestätigung dafür nehmen, dass das Grundgesetz genau das befürwortet. Ich als säkularer Mensch, möchte in öffentlichen Gebäuden keine religiösen Symbole sehen, weil ich dabei ungute Assoziationen verspüre. Ich möchte auch nicht wissen, welchem Glauben eine Lehrerin anhängt oder ein Polizeibeamter. Selbstverständlich darf jeder Beamte, jede Beamtin glauben, was sie will. Aber das Berliner Neutralitätsgesetz hat zumindest deutlich gesagt, dass im Dienst, dieser Glaube keine Rolle spielen sollte. Beamte vertreten den Staat und der sollte für alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen nahbar sein und nicht das Gefühl vermitteln, dass er die eine oder andere Weltanschauung bevorzugt. Aber anstatt weltanschaulich neutrale Räume zu schaffen, wird immer mehr Rücksicht auf die religiöse Befindlichkeit einzelner genommen. 

Wie organisiert man religiöse Diversität in einer Gesellschaft, in der Kirche und Glauben immer sichtbar sein durften – solange sie christlich waren?

Wolfgang Janisch, Tuch oder nicht Tuch

Jedenfalls nicht, indem man Religion und religiöse Befindlichkeit immer mehr in den Mittelpunkt stellt und alle anderen einfach ignoriert. Müssen Säkulare erst ihre eigenen Symbole in der Öffentlichkeit präsentieren, um wahrgenommen zu werden? Also doch mit dem Nudelsieb zum Dienst antreten? Toleranz gegenüber Kreuzen in Amtsstuben und Gerichtssälen ist jedenfalls mit Sicherheit der falsche Weg, um eine weltanschaulich pluralistische Gesellschaft zu schaffen.

Berliner Neutralitätsgesetz