Zeit laut zu werden – am 23. März ist International Atheist Day!

Ich starte mal mit einer indiskreten Frage: Hatten Sie schon Ihr Coming out? Als Atheistin oder Agnostiker, meine ich. Als Mensch, der nicht an Gott (welchen oder welche auch immer) glaubt, kurz als Ungläubige oder Ungläubiger? Nein? Dann werden Sie vermutlich gute Gründe dafür haben. Dennoch: Je mehr von uns sich outen, desto leichter wird es für alle. Heute wäre ein guter Tag dafür, denn heute ist „International Atheist Day“.

In Deutschland muss zumindest strafrechtlich kein Atheist Angst haben, sich zu outen. Das ist in manchen Ländern anders. Gerade in islamischen Staaten müssen Atheistinnen und Atheisten um ihr Leben fürchten, in sieben Ländern (Afghanistan, Iran, den Malediven, Mauretanien, Pakistan Saudi-Arabien und Sudan) steht auf Atheismus noch immer die Todesstrafe. In diesen und weiteren Staaten (Bangladesch, Ägypten, Indonesien, Kuwait und Jordanien) wird das Publizieren atheistischer oder humanistischer Schriften als Blasphemie angesehen und ebenfalls bestraft. 

Schlechte Noten für Deutschland

Doch auch wenn wir uns hier weitestgehend frei äußern können in Sachen Religion, ist Deutschland bei weitem kein Paradies für Atheisten. Im „Freedom of Thought Report“ der International Humanist and Ethical Union (IHEU) liegen wir mit einem Score von 3.3 eher im hinteren Mittelfeld. Zum Vergleich: Frankreich und Schweden schaffen es auf beneidenswerte 1,5, die Türkei ist mit einem Score von 3,8 nur knapp hinter uns.

Freedom of thought report: Deutschland

Bescheinigt wird uns von der IHEU „systemische Diskriminierung“ in den Bereichen Regierung, Erziehung und Gesellschaft“ sowie schwere Diskriminierung im Bereich Meinungsfreiheit. Hier dürfte das weiterhin bestehende Blasphemiegesetz sowie die Ausnahmen für kirchliche Unternehmen beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine ausschlaggebende Rolle spielen. Denn noch immer gibt es in Deutschland für die Kirchen jede Menge Privilegien.

Die Kirchen – der Staat im Staat

Auch wenn sich mittlerweile 44 Prozent der Deutschen als keiner Religion zugehörig definieren und nur noch 48 Prozent Mitglied einer der beiden großen christlichen Konfessionen sind (Zahlen für 2022), spiegelt sich dies nicht in der Politik wider. Kirche und Staat sind zwar offiziell getrennt, aber eben doch nicht so ganz. So verfügen die Kirchen über exzellente und auf Bundes- wie Landesebene bestens vernetzte Lobbyisten und nicht wenige Politikerinnen und Politiker (aller Parteien) haben gleichzeitig hohe kirchliche Ämter inne. Zudem haben die Kirchen eine ungeheure wirtschaftliche Macht: Die evangelische und katholische Kirche gehören mit ihren Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Das bedeutet, dass für die Ausübung bestimmter Berufe eine Mitgliedschaft in der Kirche in manchen Regionen mangels Alternativen eine zwingende Voraussetzung ist. Sich als Atheist zu outen oder gar aus der Kirche auszutreten kann hier zu einem de-facto Berufsverbot führen. 

Nicht viel besser sieht es im Bereich Bildung und Erziehung aus. Wer sein Kind nicht der kirchlichen Indoktrinierung in Form von Tischgebeten und Krippenspiel aussetzen möchte, findet längst nicht überall einen Kindergarten in öffentlicher Hand in erreichbarer Nähe. Mit der Einschulung wartet dann der Religionsunterricht, der die Kinder auch heute noch in religiöse Schubladen sortiert anstatt ihnen gemeinsam ethische Prinzipien nahezubringen. Das Ersatzfach Ethik, das in Hessen eigentlich ab der Grundschule zur Verfügung stehen sollte, wird oft von Seiten der Schule torpediert und nicht selten wird der Ethikunterricht von religiösem Personal erteilt. 

Herausforderung Atheismus

Die schlechte Note für systemische Diskiminierung für Politik und Bildungswesen im IHEU Report geht also völlig in Ordnung. Doch auch im privaten Bereich ist ein Outing als Atheist nicht immer einfach. Gerade in kleineren Orten hat die Kirche oft noch eine zentrale Rolle und ob man sich hier als schwarzes Schaf in der ansonsten unison blökenden Herde zu erkennen geben möchte, hängt stark vom eigenen sozialen Umfeld ab. Nicht selten zerbrechen daran Beziehungen in der Familie und im Freundeskreis. Warum ist das so? 

Ich denke, es liegt daran, dass wir Atheisten Menschen, die an einen Gott glauben, zutiefst verunsichern. Unser Unglaube stellt ihre Überzeugungen grundlegend in Frage. An einen anderen Gott glauben, das geht ja gerade noch, aber an gar nichts glauben? Deshalb werden wir auch bei so vielen Initiativen, bei denen sich die verschiedenen Religionen zusammentun, außen vor gelassen. Der Schulterschluss der abrahamitischen Religionen z.B. beim Eintreten für den Religionsunterricht, kommt nicht daher, dass Christen, Muslime und Juden sich auf einmal ganz doll lieb haben. Vielmehr haben sie erkannt, dass der eigentliche Endgegner diejenigen sind, die religiöse Überzeugungen und vor allem die Privilegien religiöser Organisationen grundsätzlich hinterfragen. Die plötzliche Einheit der Religionen ist kein Zeichen der Stärke, sondern gleicht eher dem Aufruf zum letzten Gefacht. 

Wir Atheisten, Agnostiker, Humanisten sind stärker, als wir glauben. Dinge ändern sich, langsam, aber sicher. Heute ist ein guter Tag, um sich als Atheistin oder Atheist zu outen. Denn wir sind viele und wir werden immer mehr.

In diesem Sinne: Happy Atheist Day!

IHEU – Freedom of Thought Report

Fowid – Religionszugehörigkeitäen 2022

Alibri Verlag – Aufkleber International Atheist Day